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Forum > Jürgen Friedrich: Fortbildungen, die das Geld und die Zeit wert sind – Erfahrungen und Vorschläge zur nachhaltigen Wirkung von schulinternen Fortbildungen in der Schulentwicklung

Seit einigen Jahren verwalten die nordrhein-westfälischen Schulen ihr eigenes Fortbildungsbudget; für manche Schulen ohne deutliches Entwicklungsprogramm oft Gelder, mit denen man nicht so recht etwas anzufangen weiß und die dann in singulären und zumeist folgenlosen Fortbildungstagen verbraucht werden; für andere Schulen, die sich klare Entwicklungsaufgaben gestellt haben, oft ein viel zu klein gehaltenes wertvolles Gut, wodurch sich hohe Ansprüche an die Fortbildungsaktionen und ihre Gestaltung durch die anbietenden ModeratorInnen ergeben.
Dass auch sehr gut vorbereitete und durchgeführte Fortbildungen ohne nachhaltige Wirkung in der Schulpraxis bleiben, wird oft von den engagierten KollegInnen der Schul- oder Fachgruppenleitungen oder Steuer- bzw. Schulentwicklungsguppen beklagt und erzeugt ein beträchtliches Enttäuschungspotenzial auch bei den SchiLF-AnbieterInnen, die zumeist aus den Kompetenzteams kommen oder bisweilen auf dem freien Fortbildungsmarkt eingekauft werden. Nachdem ich zum Beispiel im Frühjahr dieses Jahres zusammen mit 11 weiteren ModeratorInnen im Kooperativen Lernen für die über 120 KollegInnen meiner Gesamtschule Bockmühle in Essen einen sehr erfolgreichen und gut angenommenen Fortbildungstag zur kooperativen Gestaltung von Unterrichtsphasen organisiert hatte, musste ich doch feststellen, dass selbst in einem mit dem Kooperativen Lernen hier schon in einem dritten Fortbildungstag vertraut gemachten Kollegium sich die kooperative Praxis nicht sehr über die KollegInnen hinaus verbreiterte, die schon vorher eine kooperative Unterrichtsgestaltung regelmäßig organisiert hatten.

Wie können die Fortbildungsressourcen also nachhaltiger und mit einem höheren Wirkungsgrad für die Unterrichtspraxis genutzt werden? Sowohl die Untersuchungen der Lern- und Schulentwicklungsforschung 1) als auch die Erfahrungen aus der Fortbildungspraxis geben Hinweise, wie

1) bei der Planung und Vorbereitung der Fortbildungen
2) bei der Gestaltung der Fortbildungsaktionen und
3) bei der innerschulischen Weiterarbeit an den Fortbildungsergebnissen dieser Prozess richtig gesteuert werden könnte.

1. Planung einer akzeptierten, bedeutsamen und gut verankerten Fortbildung

Schulinterne Fortbildung als Motor für Unterrichts- bzw. Schulentwicklungsvorhaben kann auf fünf verschiedenen Stufen ansetzen:
a) bei der Stärken-Schwächen-Analyse und der Festlegung von Entwicklungszielen;
b) bei dem Kennenlernen von Unterrichts- oder Entwicklungsverfahren (z.B. Methoden der Differenzierung, Kooperatives Lernen, Sprachförderkonzepte ) und dem Entscheidungsprozess, ob dieses Verfahren ausprobiert werden soll;
c) bei der Aneignung konkreter Methoden und der Organisation ihrer Umsetzung in Fächern, Jahrgängen; c) bei einer Weiterbildung von PraktikerInnen eines Verfahrens und
d)(oft damit verbunden) bei der Evaluation der bisherigen Praxis und daraus folgenden Nachsteuerungsabsprachen. Das lässt sich in der Schulentwicklungsrealität natürlich nicht immer schematisch trennen, aber für Nachfrager wie Anbieter der Fortbildung ist es recht wichtig, genau zu vereinbaren, wo die Fortbildung ansetzen soll. Ohne die Stufe a) kann Fortbildung eigentlich nicht fruchtbringend ansetzen; wenn bei Stufe b) die angebotenen Handlungsperspektiven nicht zum Kollegium oder der innerschulischen Situation passen, kann die Schule sich immer noch auf die Suche nach alternativen Konzepten machen. Das sollte aber am Ende oder nach der Fortbildung mit den TeilnehmerInnen unbedingt reflektiert werden.
Wenn Sie an Ihrer Schule eine erfolgreiche Fortbildung vorbereiten wollen, sollte sie in jedem Fall schon in einen ersten Schritt der Schulentwicklung eingebettet sein, nämlich einer gründlichen emotionalen und kognitiven Klärung, was die Mehrheit der KollegInnen im Fach, im Jahrgang oder in der ganzen Schule weiterentwickeln will. Auch zu dieser Klärung empfiehlt es sich eventuell schon, die Unterstützung eines externen Entwicklungsberaters/ Coachs in Anspruch zu nehmen; die Kompetenzteams bieten zunehmend solche Fachleute an. Erst wenn die zu erwartende Fortbildung bei dem Kollegium als bedeutsam und in seinem Interesse erlebt wird, besteht eine große Chance, möglichst viele im Fortbildungsprozess für die neuen Möglichkeiten zu öffnen und bei ihnen Umsetzungsbereitschaft zu mobilisieren. Hat die Schule schon gezielte Schritte in einem Bereich der Unterrichts-oder Schulentwicklung unternommen, sind intensive Gespräche mit den ModeratorInnen nötig, damit auf der Fortbildung an den (negativen und positiven) Erfahrungen der Vorpraxis angesetzt werden kann, die Visionen (Vorstellungen vom Veränderungsziel) aktualisiert, ggf. verändert werden können und somit das Neue sich mit den Erfahrungen und dem Vorwissen vernetzen kann 2) Ganz wichtig ist es auch, spezielles Gruppenwissen oder Expertentum einzelner KollegInnen auszuloten, um sie nicht durch Wiederholung von ihnen Bekanntem zu ermüden, sondern sie, wenn möglich, mit ihrer Expertise in den Fortbildungsprozess einzubinden.

2. Gestaltung eines Fortbildungstags, der Handlungskompetenz bewirkt

Die innere Bereitschaft, sich an Neues zu wagen, steht in enger Korrelation zu der erwarteten Selbstwirksamkeit, die nach Albert Bandura wesentlich neben direkter Beeinflussung und stellvertretenden Erfahrungen (Übernahme von Verhaltensweisen durch Beobachtung) durch die emotionale Befindlichkeit und die Erfolgserlebnisse getragen wird. 3) Deswegen ist es wichtig, dass die TeilnehmerInnen einer Fortbildung sich mit ihren Interessen, Erfahrungen und Fähigkeiten aufgehoben fühlen können und den innovativen Input sich selbst aktiv aneignen und produktiv als ihr Eigenes umsetzen können.
Diethelm Wahl betitelt eins seiner Bücher zu seinen wissenschaftlichen und praktischen Forschungen bezüglich der Handlungswirksamkeit von Lernprozessen im Allgemeinen und Fortbildungsprozessen im Speziellen „vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln“) 4) . Er geht von der Grundbeobachtung aus, dass Lernende, uns interessieren hier nur die LehrerInnen, vor allem in einer von Zeit- und anderen Zwängen bestimmten Arbeitspraxis, dazu neigen, alt gewohnte „subjektive Theorien“ 5) davon , was als Handeln jetzt angemessen wäre, umzusetzen, statt neu erlernte Handlungsalternativen beständig auszuprobieren. Damit ist die Gefahr groß, dass selbst die während der Fortbildung als attraktiv empfundenen neuen Erkenntnisse und als ermutigend erlebten Praxisalternativen in der darauf folgenden Unterrichtspraxis oft erstaunlich schnell versanden.

Wollen Sie dem begegnen, sollten Sie sich wünschen (bzw. als Fortbilder organisieren), dass
- die Vorschläge bezüglich einer neuen Unterrichtspraxis schon während der Fortbildung modellhaft erlebt werden können, indem sie schon bei der Fortbildungsarbeit mit den LehrerInnen methodisch eingesetzt werden (das sogenannte „Doppeldecker-Prinzip“),
- die KollegInnen während der Fortbildung genügend Zeit erhalten, das Neue zu reflektieren, erfahrungsmäßig und emotional zu verarbeiten und dabei einen tieferen (und damit nachhaltigeren) Bezug zu bekommen,
- am Ende des Fortbildungstags klare Vorhaben stehen, die ähnlich einem Projektplan die ersten Schritte „SMART“ 6) operationalisiert festgehalten werden.
Lassen Sie sich nicht von brillanten Vortragsangeboten verlocken, sondern geben Sie dem Kollegium die Möglichkeit, durch eine Orientierung an den eigenen Erfahrungen und Vorkenntnissen, durch eine kooperative Erarbeitung von neuen Möglichkeiten, durch selbstaktive Erarbeitungs- und Präsentationsphasen sich die Inhalte lernintensiv und damit vertieft anzueignen und gleichzeitig durch die gemeinsame Arbeit an der Sache schon den ersten Schritt zu einem Entwicklungsteam zu machen.

3. Wie entsteht aus der Fortbildung eine Unterrichts- bzw. Schulentwicklung?

Ludger Brüning und Tobias Saum bilden nicht nur ModeratorInnen für Kooperatives Lernen aus, sondern unterstützen seit vielen Jahren Schulen bei einer kooperativen Unterrichts- und Schulentwicklung. Sie betonen, wie es jedes Konzept von Schul- oder Changemanagement bestätigt, die Bedeutung von sogenannten „Werkstattgruppen“ 7), die initiativ werden und sich für den Entwicklungsprozess verantwortlich fühlen, indem sie
- die neuen Unterrichtsgestaltungsverfahren (bei ihnen das Kooperative Lernen) in den Unterrichtsvorhaben der Fächer oder in der Unterrichtspraxis des Teams planerisch umsetzen,
- eine Plattform für den Austausch über Erfolge und Stolpersteine bieten,
- aus der Evaluation der Praxis die Umsetzungsformen den Bedingungen besser anpassen,
- dabei die beteiligten KollegInnen zunehmend qualifizieren,
- in der Verantwortung für die ganze Schule selbst als Experten die Verfahren fortbildend verbreiten oder weitere Fortbildung mit externen FortbilderInnen organisieren,
- dafür sorgen, dass KollegInnen zu Mentoren für den weiteren Umsetzungsprozess ausgebildet werden.
Veränderungen in der Unterrichtsgestaltung oder anderen schulischen Bereichen sind Teamprojekte und unterliegen damit Phasen, die durchlaufen werden müssen und in der der Verlauf jeder Phase den zukünftigen (Miss-)Erfolg bestimmt 8) Dieser Prozess bedarf einer Lenkung entweder durch internes Steuerungspersonal (Werkstattgruppe, Fachkonferenzleitung, Schulleitung, Schulentwicklungsgruppe) oder – oftmals kompetenter im Coaching solcher Prozesse und mit dem externen Blick und der externen Rolle bevorzugt - EntwicklungsberaterInnen von außen.

Die ModeratorInnen von Fortbildungen müssten zukünftig mehr über die Fortbildungsaktion hinaus diese begleitende Rolle übernehmen. Idealerweise sollten nicht einzelne Fortbildungstage vereinbart werden, sondern sollte ein Unterrichts-/Schulentwicklungsprojekt mit den Schritten abgesprochen werden:
- Evaluation des Entwicklungsbedarfs und Vereinbarung von Entwicklungszielen im Kollegium
- Durchführung von einer oder mehrerer Einführungsveranstaltungen in das neue Verfahren/Konzept
- am Ende der Fortbildungsveranstaltung(en) klare Projektvorhaben mit Verantwortlichen
- spätestens hier eine Werkstatt- oder Entwicklungsgruppe
- nach 3 Monaten ein erster Evaluationstermin (Austausch über die bisherige Praxis; Nachsteuerung der Praxis, ggf. neue Vorhaben)
- nach 6 Monaten ein zweiter Evaluationstermin
- nach einem Jahr ein dritter Termin
- dazwischen ggf. Fortbildungen zum Erwerb neuen Teilwissens/ sich aus der Praxis ergebender notwendiger Kompetenzen.

Es wäre für die Effizienz der menschlichen und finanziellen Ressourcen ein entscheidender Schritt, wenn die Schulen ihre Fortbildungen schon in der Planungsphase entsprechend einbinden würden und die Fortbildungsanbieter, voran die Kompetenzteams, für die Fortbildungsverträge ein solches Setting voraussetzen würden. Beide Seiten hätten dann mehr Chancen auf die beglückende Erfahrung, dass sich der Einsatz lohnt.

Jürgen Friedrich, Juni 2011

1) Als wissenschaftliche Grundlagen kann ich, angeregt durch L.Brüning/T.Saum, empfehlen: Diethelm Wahl: Lernumgebungen erfolgreich gestalten – vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln, Bad Heilbrunn 2005; im Internet ein Aufsatz von Prof. Günter Huber: Kooperation von Lehrkräften: Kooperatives Lernen kooperativ lernen. blk.mat.uni-bayreuth.de/material/db/15/kooperation.doc
2) Zur Bedeutung der Vernetzung von Vorwissen und der emotionalen Verankerung von neu präsentierten Lerninhalten siehe ebenfalls Diethelm Wahl, a.a.O. und die Ergebnisse der Neurodidaktik
3) Siehe Albert Bandura: Self-efficacy - The exercise of control, New York 1997.
4) Diethelm Wahl, a.a.O
5) Der Begriff der subjektiven Theorien wird gut erklärt in einer Kurzzusammenfassung des Konzepts von D. Wahl unter: studienseminare-bbs.bildung-rp.de/.../aufgelesen/AGL_06_10_Wahl.pdf
6) SMART = Das Acronym "SMART" wird im Projektmanagement für die Beschreibung von Zieldefinitionen verwendet und steht für Specific, Measureable, Achievable (oder Attainable), Relevant (z.T.: Realistic), Time phased (oder Timely); siehe u.a. http://www.projektmagazin.de/glossar/gl-0731.html
7) Zu den Werkstattgruppen siehe: Ludger Brüning/Tobias Saum: Ludger Brüning/Tobias Saum: Erfolgreich unterrichten durch Kooperatives Lernen 2 – Neue Strategien der Schüleraktivierung ..., Essen 2009, S. 154 ff.; und dieselben in NDS 9/2009: Lehrerfortbildungen der Bezirksregierung Arnsberg:
Erfolgreiche Unterrichtspraxis durch Kooperatives Lernen
8. Zu den Phasen der Teamentwicklung in Projekten (Forming  Storming  Norming  Performing) siehe u.a. unter http://lehrerfortbildung-bw.de/kompetenzen/projektkompetenz/durchfuehrung/organisation/teamentwicklung.htm